Wenn Kinder nicht mehr leben wollen: Ein Blick in die Dunkelheit
Welche Schwere lastet auf einem kleinen Herzen, wenn der eigene Tod eine tragbare Option wird? Diese Frage begegnet mir in meiner Arbeit immer wieder – eine Realität, die kaum auszuhalten ist. Kinder und Jugendliche, die den Tod als Ausweg sehen, hinterlassen eine Stille, die jede:r spürt, der oder die zuhört. Wenn ein junges Leben an diesem Punkt angekommen ist, bleibt die Zeit stehen. Doch genau dann braucht es einen sicheren Raum, in dem dieses Leid ausgesprochen werden kann, ohne Angst vor Verurteilung oder Bagatellisierung.
Wenn die Welt zu schwer wird
Kinder im Volksschul- oder Mittelschulalter verstehen bereits die Endgültigkeit des Todes. Sie wissen, dass es kein Zurück gibt, dass ihre Familie trauern wird und ihr Leben dann wirklich vorbei ist. Und dennoch wird der Tod zur einzigen erträglichen Perspektive. Warum? Weil die Last des Lebens auf ihren kleinen Schultern so schwer wiegt, dass sie keinen anderen Ausweg mehr sehen.
Ich erinnere mich an ein Kind, das ich einmal gefragt habe: „Wenn du dir wirklich etwas wünschen könntest, so wie in Aladin und die Wunderlampe – was würdest du dir wünschen?“ Die Antwort kam klar und ohne Zögern: „Wenn ich es mir wirklich aussuchen darf, wache ich morgen nicht mehr auf.“
„Darf ich dich fragen, wie genau du das meinst? Magst du einfach ganz lange schlafen?“
„Nein, dann bin ich tot.“
Ein Moment, in dem die Welt aufhört, sich zu drehen. Wenn ein Kind solche Worte ausspricht, wird bewusst, wie tief die Einsamkeit und Verzweiflung reichen können. Doch oft sind es nicht nur innere Kämpfe, die zu dieser Dunkelheit führen – es sind auch äußere Einflüsse, die den Druck erhöhen.
Ein sicherer Ort für schwere Themen
Es ist nicht das Ziel meiner Arbeit, Traumata aufzudecken oder therapeutisch zu wirken. Und doch entsteht manchmal ein sicherer Raum, in dem sich verborgene, schwere Themen offenbaren. Ich begleite meine Klient:innen – ob bei Trennung und Scheidung, wirtschaftlichen Konflikten mit großen finanziellen Auswirkungen oder der Stabilisierung von Teams – zu einer tragfähigen Lösung. Das ist unser oberstes Ziel.
Doch um nach vorne zu blicken, braucht es manchmal einen Moment des Innehaltens. Ein Blick in die Vergangenheit und ins Hier und Jetzt kann entscheidend sein, um den nächsten Schritt zu setzen. Menschen öffnen sich, wenn sie sich in einem sicheren, offenen Setting ernst genommen fühlen – und wenn ihnen wirklich zugehört wird.
Menschen, vom Kind bis zum Greis, bemerken in meiner Arbeit, dass ich wirklich zuhöre, ihre Worte aufgreife, nachfrage und ihnen Bedeutung gebe. Auch dadurch öffnen sie sich manchmal in einer Tragweite, die schwer im Raum lastet. Doch gerade daraus ergeben sich unglaubliche Möglichkeiten: Hilfe kann geboten, Stille und Trauer durchbrochen werden. Neue Lösungswege entstehen, und allen Anwesenden wird klar – hier geht es um etwas Essentielles. Manchmal um weit mehr als wirtschaftliche Profite oder Verluste, manchmal geht es um nichts Geringeres als das Leben selbst.
Mobbing und Ausgrenzung – die unterschätzte Gefahr
Doch was bringt Kinder und Jugendliche an diesen Punkt? Oft sind es Erfahrungen wie Mobbing und soziale Ausgrenzung, die Menschen in eine tiefe Krise treiben. Opfer von Mobbing werden leider auch heute noch viel zu oft übersehen, ihre Leiden bagatellisiert und die Tragweite dessen, was passiert, völlig unterschätzt. In Firmen werden immer noch die Täter:innen bevorzugt und behalten, während die Opfer die toxische Atmosphäre verlassen. Doch die Lücke wird gefüllt – von einem neuen Opfer. Und so bleibt der ewige Kreis der Zerstörung bestehen.
Gerade hier zeigt sich, wie wichtig es ist, hinzusehen, hinzuhören und zu reagieren. Denn Mobbing hat weitreichende Folgen – nicht nur für das betroffene Individuum, sondern für das gesamte Umfeld. Wenn es ignoriert wird, entstehen langfristige psychische Belastungen, die bis zur völligen Hoffnungslosigkeit führen können. Deshalb müssen wir als Gesellschaft Verantwortung übernehmen und gegen solche Strukturen ankämpfen.
Gewalt darf keinen Platz haben
Mobbing ist eine Form der Gewalt – und Gewalt, ob physisch oder psychisch, sollte in unserer Gesellschaft keinen Platz mehr haben. Wenn ich erlebe, wie Menschen ihr Verhalten rechtfertigen, die Täter:innen entschuldigen und den Opfern Mitschuld geben, steigt in mir die Verachtung. Das Opfer trägt niemals Schuld – es ist und bleibt die Verantwortung der Täter:innen. Diese einfache Grundhaltung sollten wir – also du und ich – annehmen und anerkennen. Nur so können wir als Gesellschaft wachsen und verhindern, dass Menschen leiden, weil andere wegsehen oder Unrecht tolerieren.
Hoffnung und Veränderung sind möglich
So düster diese Realität auch sein mag, sie ist nicht unveränderlich. Jeder Mensch kann etwas tun – sei es durch Aufmerksamkeit, durch Zuhören oder durch aktives Eingreifen, wenn Ungerechtigkeit geschieht. Ein einzelnes Gespräch, ein ernstgemeintes Nachfragen oder ein unterstützender Blick können bereits eine Brücke aus der Dunkelheit bauen.
Es gibt Hoffnung, und sie beginnt dort, wo Menschen nicht länger wegsehen. Wo wir als Gesellschaft aufhören, Opfer zu ignorieren, und anfangen, Veränderungen herbeizuführen. Niemand ist allein – und gemeinsam können wir Strukturen verändern, Unterstützung bieten und verhindern, dass aus Schmerz Verzweiflung wird. Jeder kleine Schritt zählt.
Hilfe ist da – Du bist nicht allein
Falls dich dieser Beitrag emotional bewegt oder belastet, sei dir bewusst: Du bist nicht allein! Es gibt Menschen, die zuhören und helfen:
Rat auf Draht – 147 (für Kinder und Jugendliche, rund um die Uhr und kostenlos)
Telefonseelsorge – 142 (anonym und vertraulich für Erwachsene)
Rettung Notruf – 144 (bei akuten Krisen, wenn unmittelbare Hilfe nötig ist)
Bitte sprich mit jemandem – Hilfe ist jederzeit da.