Welche katastrophalen Auswirkungen ein „Du hast ein Dach über dem Kopf, also geht es dir gut“ haben kann

Führungskräfte tragen eine enorme Verantwortung für das Wohlergehen ihrer Mitarbeitenden. Die Art und Weise, wie sie mit den Herausforderungen und Problemen ihrer Teams umgehen, kann tiefgreifende Auswirkungen auf das Arbeitsklima und die Leistung des gesamten Unternehmens haben. Einer der verheerendsten Fehler, den Führungskräfte machen können, ist die Bagatellisierung oder gar das Ignorieren der Probleme ihrer Mitarbeitenden – und das passiert häufiger, als man denkt.

Ein Satz, den ich immer wieder höre und der mich jedes Mal schockiert, lautet: „Du hast ein Dach über dem Kopf, also geht es dir gut.“ Dieser oder ähnliche Sätze signalisieren nicht nur, dass die Probleme und Belastungen im Betrieb zwar wahrgenommen werden, aber die Verantwortung dafür abgelehnt wird. Schlimmer noch, sie spielen die Ernsthaftigkeit der Situation herunter.

Der Kontext solcher Aussagen und ihre Folgen

Worte, die mehr zerstören, als sie aufbauen

Es gibt in unserer Gesellschaft eine verbreitete, aber oft gefährliche Vorstellung, dass die bloße Abdeckung der Grundbedürfnisse – wie Nahrung und Unterkunft – ausreicht, um als „gut“ angesehen zu werden. Diese Denkweise ist nicht nur kurzsichtig, sondern auch gefährlich. Sie ignoriert die komplexen psychischen und emotionalen Bedürfnisse, die jeder Mensch hat, und die gerade am Arbeitsplatz eine zentrale Rolle spielen.

Wenn eine Führungskraft einen solchen Satz äußert, zeigt sie nicht nur, dass sie die Sorgen und Nöte ihrer Mitarbeitenden nicht ernst nimmt, sondern auch, dass sie die Tiefe menschlicher Bedürfnisse nicht versteht. Diese Haltung kann katastrophale Auswirkungen auf die Arbeitsmoral, die psychische Gesundheit und letztendlich auf die Produktivität des gesamten Teams haben.

Ein erschütterndes Beispiel

Ich erinnere mich an eine Situation, die mir persönlich widerfahren ist. Während eines Teammeetings äußerten mehrere Mitarbeiter:innen, dass es ihnen „nicht so toll“ ginge. Anstatt Empathie zu zeigen oder nach den Gründen zu fragen, reagierte die Führungskraft mit den Worten: „Ich habe gehört, dass wir alle ein Dach über dem Kopf haben und genug zu essen. Also geht es uns gut. Oder?“ Und sie setzte fort: „Also, wie geht es uns? Genau, gut geht es uns!“

In diesem Moment ist mir fast das Herz stehen geblieben. Diese Reaktion zeigte nicht nur völlige Gleichgültigkeit gegenüber den emotionalen Zuständen der Mitarbeitenden, sondern auch eine gefährliche Ignoranz gegenüber den Problemen, die unter der Oberfläche schwelen könnten.

Die Tragweite solcher Aussagen

Unterdrückung statt Lösung

Eine solche Aussage zeigt klar, dass die Bedürfnisse des Teams keinen Platz haben. Wer offen über seine Probleme spricht, wird stillschweigend zum Schweigen verurteilt. Doch was bedeutet das für das Betriebsklima und die psychische Gesundheit der Mitarbeitenden?

Was wird wirklich verschleiert?

Mobbing, Diskriminierung, Unzufriedenheit, Gewalt – all das wird unter den Teppich gekehrt. Die Sekretärin, die von ihrem Vorgesetzten sexuell belästigt wird, soll schweigen, denn sie hat ein Dach über dem Kopf, also muss es ihr gut gehen. Der Recruiter, der am Wochenende von seinem Ex-Partner vergewaltigt wurde, soll schweigen, denn er hat ein Dach über dem Kopf, also muss es ihm gut gehen. Der neue Mitarbeitende, der von seinem Kollegen seit Wochen gemobbt wird, soll schweigen. Denn es muss ihm gut gehen. Die Auszubildende, die von ihrem Team ausgegrenzt wird, soll schweigen, denn es muss ihr gut gehen.

Diese Beispiele zeigen, wie eine solche Einstellung nicht nur die Probleme der Betroffenen ignoriert, sondern sie auch dazu zwingt, ihre Leiden zu verstecken. Das führt dazu, dass sich die Mitarbeitenden isoliert und hilflos fühlen – was langfristig zu ernsten psychischen Problemen führen kann, einschließlich Depressionen und in extremen Fällen sogar zu lebensbedrohlichen Situationen.

Die Konsequenzen für das Unternehmen

Wenn Führungskräfte die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden ignorieren oder herunterspielen, hat das nicht nur Auswirkungen auf die Betroffenen selbst, sondern auch auf das gesamte Unternehmen. Hier sind einige der möglichen Folgen:

1. Hohe Fluktuation: Mitarbeitende, die sich nicht unterstützt oder verstanden fühlen, sind eher bereit, das Unternehmen zu verlassen. Dies führt zu einer hohen Fluktuation, was wiederum hohe Kosten für Rekrutierung und Einarbeitung nach sich zieht.

2. Dienst nach Vorschrift: Mitarbeitende, die sich nicht wertgeschätzt fühlen, neigen dazu, nur das Nötigste zu tun. Sie verlieren die Motivation, sich über das Minimum hinaus zu engagieren, was zu einem Rückgang der Produktivität führt.

3. Schlechtes Betriebsklima: Wenn Probleme ignoriert oder unter den Teppich gekehrt werden, leiden auch die übrigen Teammitglieder. Ein schlechtes Betriebsklima führt zu Konflikten, Stress und einer allgemein negativen Stimmung, die die Zusammenarbeit erschwert.

4. Verlust von Talenten: In einer Umgebung, in der Probleme ignoriert werden, werden talentierte Mitarbeitende kaum bleiben. Unternehmen verlieren dadurch wertvolles Know-how und Erfahrung, was langfristig ihre Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt.

Was tun?

1. Empathie zeigen

Empathie ist das Fundament einer guten Führung. Wenn eine Führungskraft zeigt, dass sie die Sorgen und Nöte ihrer Mitarbeitenden versteht, baut sie Vertrauen auf und schafft ein Umfeld, in dem sich die Mitarbeitenden sicher und unterstützt fühlen.

2. Aktives Zuhören praktizieren

Aktives Zuhören bedeutet, wirklich zuzuhören, was die Mitarbeitenden sagen, ohne sofort Lösungen anzubieten oder die Probleme zu verharmlosen. Es geht darum, den Mitarbeitenden Raum zu geben, ihre Gefühle und Bedenken auszudrücken, und sicherzustellen, dass sie gehört werden.

3. Probleme ernst nehmen

Es ist wichtig, dass Führungskräfte die Probleme ihrer Mitarbeitenden ernst nehmen. Anstatt sie herunterzuspielen oder zu ignorieren, sollten sie aktiv nach Lösungen suchen und die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die Situation zu verbessern.

4. Transparenz fördern

Eine transparente Kommunikation ist entscheidend, um Vertrauen aufzubauen. Mitarbeitende sollten das Gefühl haben, dass sie über wichtige Entscheidungen informiert werden und dass ihre Meinungen und Bedenken ernst genommen werden.

5. Unterstützung anbieten

Führungskräfte sollten proaktiv Unterstützung anbieten, sei es durch Coaching, Mediation oder die Bereitstellung von Ressourcen, die den Mitarbeitenden helfen, mit ihren Problemen umzugehen.

Die psychologischen Auswirkungen auf die Mitarbeitenden

Der psychische Druck

Die psychologischen Auswirkungen, die durch das Ignorieren oder Herunterspielen von Problemen entstehen, können gravierend sein. Wenn Mitarbeitende das Gefühl haben, dass ihre Probleme nicht ernst genommen werden, können sie sich isoliert, hilflos und entwertet fühlen. Dies kann zu einem Zustand chronischen Stresses führen, der das Risiko für psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen und Burnout erhöht.

Das Schweigen der Betroffenen

In einer Kultur, in der Probleme heruntergespielt werden, werden die Betroffenen oft gezwungen, zu schweigen. Sie haben das Gefühl, dass ihre Probleme unwichtig sind oder dass sie nicht ernst genommen werden. Dies führt dazu, dass sie ihre Gefühle und Sorgen in sich hineinfressen, was den psychischen Druck weiter erhöht und das Risiko für ernsthafte psychische Probleme verstärkt.

Die Spirale der Isolation

Mitarbeitende, die das Gefühl haben, dass ihre Probleme ignoriert werden, neigen dazu, sich von ihren Kolleg:innen und dem Unternehmen zu distanzieren. Diese Isolation verstärkt das Gefühl der Hilflosigkeit und kann in extremen Fällen zu schweren psychischen Krisen führen. In einer solchen Situation fühlen sich die Betroffenen oft völlig allein und sehen keinen Ausweg aus ihrer Situation.

Der Kreislauf der Verschleierung

Mobbing und Diskriminierung

In einer Kultur, in der Probleme nicht ernst genommen werden, können Mobbing und Diskriminierung gedeihen. Wenn Führungskräfte die Augen vor solchen Problemen verschließen, werden die Täter ermutigt, weiterzumachen, während die Opfer sich noch mehr isoliert und hilflos fühlen.

Gewalt und sexuelle Belästigung

Gewalt und sexuelle Belästigung sind extreme Formen von Mobbing, die in einer solchen Kultur ebenfalls verschleiert werden können. Wenn Opfer das Gefühl haben, dass ihre Beschwerden nicht ernst genommen werden, schweigen sie oft aus Angst vor Vergeltung oder weil sie glauben, dass ihre Beschwerden nicht ernst genommen werden. Dies führt dazu, dass die Täter ungestraft weitermachen können, während die Opfer weiter leiden.

Die Verantwortung der Führungskräfte

Führung mit Herz und Verstand

Führungskräfte haben die Verantwortung, mit Herz und Verstand zu führen. Sie müssen die Sorgen und Nöte ihrer Mitarbeitenden ernst nehmen und aktiv nach Lösungen suchen. Dies erfordert Empathie, Mut und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.

Kultur des Vertrauens schaffen

Eine Kultur des Vertrauens zu schaffen, ist entscheidend, um ein

gesundes Arbeitsumfeld zu gewährleisten. Führungskräfte müssen sicherstellen, dass die Mitarbeitenden das Gefühl haben, dass ihre Probleme ernst genommen werden und dass sie sich jederzeit an ihre Vorgesetzten wenden können, wenn sie Unterstützung benötigen.

Vorbildfunktion übernehmen

Führungskräfte müssen sich ihrer Vorbildfunktion bewusst sein. Sie setzen den Ton für das Verhalten im Unternehmen und müssen sicherstellen, dass ihre Handlungen und Worte im Einklang mit den Werten des Unternehmens stehen. Nur so können sie ein Umfeld schaffen, in dem sich alle Mitarbeitenden sicher und unterstützt fühlen.

Langfristige Auswirkungen auf das Unternehmen

Verlust von Talenten

In einer Kultur, in der Probleme ignoriert oder heruntergespielt werden, ist es nur eine Frage der Zeit, bis talentierte Mitarbeitende das Unternehmen verlassen. Sie suchen nach Arbeitsplätzen, an denen sie sich wertgeschätzt und unterstützt fühlen. Der Verlust von Talenten kann schwerwiegende Auswirkungen auf das Unternehmen haben, insbesondere wenn diese Mitarbeitenden Schlüsselpositionen innehatten.

Schlechtes Unternehmensimage

Ein Unternehmen, das für seine schlechte Führungskultur bekannt ist, wird Schwierigkeiten haben, neue Talente zu gewinnen. Das Unternehmensimage leidet, und es kann Jahre dauern, dieses wieder aufzubauen. In der heutigen vernetzten Welt verbreiten sich negative Erfahrungen schnell, was das Ansehen des Unternehmens erheblich schädigen kann.

Rückgang der Produktivität

Ein schlechtes Betriebsklima führt zwangsläufig zu einem Rückgang der Produktivität. Wenn Mitarbeitende unzufrieden sind oder das Gefühl haben, dass ihre Probleme ignoriert werden, sind sie weniger motiviert, ihr Bestes zu geben. Dies wirkt sich direkt auf die Leistung des Unternehmens aus und kann langfristig den Erfolg gefährden.

Der Weg zur Besserung

Offene Kommunikation fördern

Offene und ehrliche Kommunikation ist der Schlüssel zu einem gesunden Arbeitsumfeld. Führungskräfte müssen sicherstellen, dass die Mitarbeitenden das Gefühl haben, dass sie jederzeit offen über ihre Sorgen und Probleme sprechen können, ohne Angst vor negativen Konsequenzen zu haben.

Probleme frühzeitig erkennen

Es ist wichtig, Probleme frühzeitig zu erkennen und zu adressieren, bevor sie eskalieren. Führungskräfte sollten regelmäßig Feedback von ihren Mitarbeitenden einholen und aufmerksam zuhören, um mögliche Probleme frühzeitig zu identifizieren.

Unterstützung bieten

Führungskräfte sollten proaktiv Unterstützung anbieten, sei es durch Coaching, Mediation oder die Bereitstellung von Ressourcen, die den Mitarbeitenden helfen, mit ihren Problemen umzugehen. Es ist wichtig, dass die Mitarbeitenden wissen, dass sie nicht allein sind und dass das Unternehmen bereit ist, ihnen zu helfen.

Fazit: Handeln statt verschleiern

Die Art und Weise, wie Führungskräfte mit den Problemen und Sorgen ihrer Mitarbeitenden umgehen, hat tiefgreifende Auswirkungen auf das gesamte Unternehmen. Ein Satz wie „Du hast ein Dach über dem Kopf, also geht es dir gut“ mag auf den ersten Blick harmlos erscheinen, doch er kann verheerende Folgen haben. Er signalisiert, dass die Probleme der Mitarbeitenden nicht ernst genommen werden und dass sie alleine gelassen werden.

Führungskräfte müssen erkennen, dass sie eine Verantwortung haben – nicht nur für die Leistung ihrer Teams, sondern auch für deren Wohlergehen. Es ist unerlässlich, zuzuhören, hinzuschauen und die Probleme ernst zu nehmen. Nur so können sie ein Arbeitsumfeld schaffen, das auf Vertrauen, Respekt und gegenseitiger Unterstützung basiert.

Mein Tipp: Handle, statt zu verschleiern. Sei mutig und sprich an, was schief läuft. Nur so kannst du als Führungskraft Vertrauen und ein gesundes Arbeitsumfeld schaffen.

Hinweis:

Beiträge wie diese können schwierige Gefühle auslösen. Es gibt Hilfe. Wenn du oder jemand, den du kennst, hier etwas braucht, wende dich bitte an folgende Hilfestellen in Österreich:

– Telefonseelsorge: 142 (24 Stunden erreichbar)

– Rat auf Draht: 147 (für Kinder und Jugendliche)

– Kriseninterventionszentrum: +43 (0)1 406 95 95

Du bist nicht allein. Hilfe ist da, wenn du sie brauchst.

26/08/2024
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